logo
 foto
Schifferbörse Duisburg-Ruhrort

Die naturwüchsige Entwicklung des Ruhrorter Hafens brachte es mit sich, daß die Schiffer ihrer Frachtgeschäfte großenteils auf der Straße und den anliegenden Gastwirtschaften abschlossen. Zur Mittagszeit bevölkerten die Schiffahrtstreibenden den Damm, und daß Fuhrwerke und Passanten hatten Mühe, sich einen zu Weg durch die Versammlung zu bahnen.

Um Ordnung zu schaffen, plante die Stadt Ruhrort eine überdachte Versammlungsstätte, wo die Schiffer und ihre Vertragspartner ihren Geschäften bei Wind und Wetter ungehindert - und ohne andere zu behindern - nachgehen könnten. Wie in Ruhrort üblich, wurde der Bau solange hinausgeschoben, bis sich die staatliche Ruhrhafenverwaltung in Düsseldorf veranlaßt sah, die Initiative zu ergreifen. Obwohl sich nämlich Befrachter, Makler und Schiffseigner in aller Öffentlichkeit trafen, lag über ihren Geschäften der Improvisation, wenn nicht der Konspiration:

"Die Geschäftsgebarung der Schiffsbefrachter (Makler), welche die Frachtabschlüsse zwischen Verfrachter und Schiffer zu vermitteln pflegen, entzog sich der Öffentlichkeit fast ganz. So waren die Schiffer über den jeweiligen Stand der Frachtpreise oft nicht hinreichend unterrichtet und fürchteten wohl dann und wann übervorteilt zu werden. Dazu kamen Beschwerden der Schiffer, daß sie den Maklern für ihre verhältnismäßig geringe Mühewaltung eine willkürliche festgesetzte, unverhältnismäßig hohe Gebühr zu entrichten hätten. Ja, es wurde behauptet, daß insbesondre in schlechten Zeiten den Maklern außer der üblichen Gebühr noch andere Zuwendungen für die Frachtvermittlung gemacht werden müßten."

Schon 1888 hatte die "Schiffervereinigung Selbsthülfe" gefordert, nur noch vereidigte Makler zum Geschäft zuzulassen. Nachdem sich die Forderung weder als rechtlich noch praktisch durchsetzbar erwies, faßte man 1890 ebenso vergeblich die Einrichtung eines "Schiffsfrachtamts" ins Auge. Auf diese Weise nahm der Plan einer regelrechten Schifferbörse Gestalt an, die den Geschäften einen offiziellen Rahmen verleihen würde. Um die Stadt Ruhrort nicht in die Versuchung zu führen, die Börse als kommunale Einkommensquelle abzuschöpfen, legte der Düsseldorfer Regierungspräsident die Hand darauf, mit dem Argument, daß das Börsenlokal eine für den Betrieb und die Entwicklung des Hafens bedeutsame Einrichtung sei. Auf der Suche nach Anregungen und Modellen wurde eine Abordnung von zwei Personen nach Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen entsand, wußte am Ende allerdings nicht viel mehr zu berichten, als daß dort, was das Geschäft der wilden Makler angeht, dieselben Mißstände herrschten wie in Ruhrort.

Die Stadt Ruhrort, die der Königlichen Hafenverwaltung zwischen Dammstraße und Vinckekanal ein Grundstück auf 99 Jahre verpachtet hatte, erhielt dafür eine symbolische Mark pro Jahr. Ein Jahr nach Baubeginn beging man am 6.Dezember 1900 das Richtfest für das aus dem Ruhrschiffahrtsfonds finanzierte Fachwerkhaus. Der Entwurf des Fachwerkhauses - aus dem hochbautechnischen Büro der staatlichen Bauabteilung - sah neben einem Börsensaal für 500 Personen seitliche Kojen für die Makler, einen Post- und Telegraphenraum, Verwaltungsbüros und eine Wohnung für den Börsendiener vor.

Das Haus der Schifferbörse wurde ein echter Anziehungspunkt sowohl für das Gewerbe, als auch für das allgemeine Publikum. Die schwere Architektur weist mit ihrem symbolisierenden Dekor über die Romantik zurück ins Mittelalter: Ihr 'wilhelminischer' Historismus war in einem spätidealistischen Sinn 'imaginativ' und durchaus zeitgemäß. Sein Stil, wenig Zuckerbackwerk, mehr Schmalzkuchen, findet sich von den Brückenköpfen der Kölner Hohenzollernbrücke über die Hebetürme der Homberg-Ruhrorter Eisenbahnhäfen bis zum Portal der Henrichenburger Schachtschleuse in zahlreichen Bauwerken an Flüssen und Kanälen wieder.

foto

Mit der ersten Versammlung begann auf der Grundlage der von dem Börsenvorstand beschlossenen Börsenordnung am 1. November 1901 das Börsengeschäft. Börsenzeit war von 11 bis 12 Uhr. Das war vorher schon die Zeit des Hochbetriebs auf dem Damm. Hatte man anfangs jegliche Geschäftstätigkeit außerhalb dieser Stunden verboten, entschied man sich bald, den Handel über diese Regelzeit hinaus freizugeben, um die Firmen an sich zu binden, die ihre Tätigkeit in die Börse verlegen wollten.

Vor der Unterzeichnung der Rheinschiffahrtsakte bezogen Häfen wie Köln und Mainz ihre Macht aus dem Stapelprivileg. Im 19.Jahrhundert verschoben sich die Machtverhältnisse unter den Hafenstädten. Die Macht des Ruhrorter Hafens erwuchs aus dem schieren Verkehrsaufkommen, das er seiner Lage an der Schnittstelle von Schwerindustrie und Massengutverkehr verdankte. Der Gesamtumschlag des Jahres 1900 verdoppelte sich bis 1910 auf 28 Millionen Tonnen. 90 Prozent dessen, was im Duisburger Raum - einschließlich der privaten Kohle- und Erzhäfen - in Schiffe verladen wurde,  waren Kohlen, der Rest verteilte sich zur einen Hälfte auf Eisen, zur anderen auf Baustoffe, Düngemittel, Getreide und andere Güter.

Daseinsberechtigung bezog die Schifferbörse aus der Regelung des Frachtgeschäfts, das bis dahin zwischen Befrachtern und Schiffseignern frei ausgehandelt worden war, wobei die Makler als Vermittler auftraten. Die Schwierigkeit derartiger Regelungen war, daß das Transportgeschäft zwischen verschiedenen Staaten stattfand. Wie die Reise der Vorbereitungsdelegation nach Belgien und Holland gezeigt hatte, bestanden nicht einmal verbindliche Abkommen zwischen den Beteiligten, geschweige denn zwischen den Häfen.

foto

An der Schifferbörse stehen sich zwei Parteien in der Aushandlung der Transportverträge gegenüber: die Frachtgeber und die Frachtnehmer.
Die Frachtnehmer sind die Schiffseigner, die eine Ladung annehmen, um sie zu befördern: einige Tausend Privatschiffer - Partikuliere - die ein oder zwei Schiffe besitzen und, zumeist im Familienbetrieb, auch selbst fahren, sowie einige Reedereien, die nicht nur eine Flotte von bis zu hundert Kähnen teils beachtlicher Größe unterhalten, sondern auch große Dampfboote, von denen sich die Partikuliere in Schlepp nehmen lassen.
Die Frachtgeber - Handelsgesellschaften für Kohle, Eisen und andere Massengüter, sowie Speditionen für Waren aller Art - lassen sich von den Maklern gegenüber den Schiffseignern vertreten. Die Makler bilden zusammen mit ihren Auftraggebern, den Befrachtern, eine starke Interessengruppe, in der es allerdings auch zu Konflikten kommt, weil die Reederei einer Kohlenhandelsgesellschaft einerseits die Güter dieser Gesellschaft möglichst billig transportieren soll, während dieselbe Reederei, wenn ihre Schiffe nicht ausgelastet sind, so daß sie ihren Frachtraum auf dem Markt anbietet, eine möglichst hohe Frachtrate schätzt. Dieser innere Widerspruch erzeugt ein Spannungsverhältnis in der betrieblichen Organisation der Schiffahrt, das im Verlauf des 20.Jahrhundert geradezu zyklisch zur Bildung und Auflösung von Großreedereien - und dementsprechend zur Zu- und Abnahme des Privatschifferanteils an der Gesamtschiffahrt führt.
Die Ruhrorter Häfen sind, was die Ausfuhr betrifft - und praktisch nur die von der Ruhr ausgehenden Frachten werden an der Börse verhandelt - Kohlenumschlagshäfen. Die Reedereien der Zechen-, Kohlenhandels- und anderer Transportgesellschaften teilen sich den Kohlentransport mit den Kleinschiffern.
Der Partikulier, der in einer Konkurrenz sowohl zu den Maklern und ihren Auftraggebern als auch zu den Großreedereien steht, die teilweise ebenfalls den Auftraggebern gehören, bietet sein Fahrzeug an der Börse für den Transport an. (Es sei denn, er schließt mit einem Verlader einen Vertrag über eine längere Zeit, eine größere Gütermenge oder eine Anzahl von Reisen, für die er sein Schiff an den Auftraggeber vermietet.) Er verpflichtet sich, Ladung an einer Verladestelle aufzunehmen, sein Schiff zum Bestimmungshafen schleppen zu lassen (wenn sein Fahrzeug keinen eigenen Antrieb besitzt, was um die Jahrhundertwende, abgesehen von Segelschiffen, nicht der Fall ist), wo die Ladung gelöscht wird.
Der Schiffseigner, der als Partikulier häufig der Schiffsführer ist, erhält dafür einen Betrag, der sich
a) nach der Strecke zwischen dem Verlade- und dem Entladehafen bemißt, die sich jedoch
b) unabhängig von der Strecke erhöht oder verringert, je nachdem wie hoch die Aussichten sind, am Ort der Entladung eine Rückfracht zu erhalten. Eine Ladung nach Mannheim ist daher für den Versender billiger als eine nach Worms. Ein weiterer Faktor ist
c) die Art der Ladung: während Güter wie Kohle und Getreide den Laderaum kaum beanspruchen, strapazieren Erze und Eisenteile die Strau und die Wände.
d) erhält der Schiffer für Bergfrachten nach Mittel- oder Oberrheinstationen wiederum weniger als zu den holländischen und belgischen Häfen, weil er bei diesen Reisen nicht nur selbst für den Schleppdienst sorgen muß. Er übernimmt auch das Leichterrisiko. Daß sich
f) auf dem freien Markt die Frachten durch Angebot und Nachfrage regeln, versteht sich eigentlich von selbst. Dieses Verhältnis wird jedoch auch -
g) - vom Wasserstand beeinflußt. Ist das Wasser niedrig, können die Schiffe nicht voll abladen. In trockenen Jahreszeiten werden daher mehr Schiffe beansprucht, der Schiffsraum wird knapp und der Schiffer erhält einen Kleinwasser-Zuschlag. Schließlich richtet sich der Frachtsatz
h) auch nach der Größe des Schiffs. Ist der Betrieb eines kleinen Schiffs von 700 Tonnen Tragfähigkeit absolut billiger als der eines 2.500 Tonnen-Kahns, dessen Bau mehr kostet und dessen Besatzung größer ist. Relativ erweist sich das große Fahrzeug als günstiger, und wo der Eigner des kleineren Schiffs in Konkurrenz mit dem eines großen Kasten tritt erhält er nicht mehr als dieser. Daneben gibt es aber Strecken, die dem Rheinschiff - sei es wegen der Tauchtiefe, sei es wegen der Brückenhöhe, sei es wegen der Schleusenlänge und -breite - versperrt sind. Auf den Kanälen und kanalisierten Nebenflüssen setzen die kleinen Schiffe den Maßstab auch für die Frachtsätze.

Ob die Mannschaft beim Laden oder Löschen Hilfsdienste leistet, die über die schiffischen Verrichtungen des Verholens am Lade- und Löschplatz, des Aufdeckens und Kehren der Laderäume hinausgehen, ist eine Frage der besonderen Vereinbarungen. Scheppreisen heißen Reisen, auf denen das Schiff an mehreren abgelegenen Häfen Teilladungen löscht. Man nennt sie so, weil dort keine oder einfache Umschlagsanlagen vorhanden sind, so daß die Ladung in Tragkörbe geschaufelt und von Bord getragen werden muß. Dagegen, daß Versender und Empfänger sich beim Entladen übermäßig Zeit lassen, schützt sich der Eigner durch die Vereinbarung von Lade- und Löschtagen. Nach einer Mindestliegezeit und einer Mindesmenge veranschlagt man Anfang des Jahrhunderts einen weiteren Lösch-/Ladetag für jede weitere 50 Tonnen Ladung. Dieses Verhältnis kann sich je nach der Fracht und der Umschlagtechnik verändern und verändert sich im Laufe des Jahrhunderts mit der Leistungsfähigkeit der Hafeneinrichtungen.

* * * *

"Die überwiegend größten Mengen werden von den Versendern zur Beförderung an Rhedereien und an Partikulierschiffer vergeben. Zwischen die Frachtführer und die Frachtgeber tritt häufig der Spediteur, der die Güterbeförderung besorgt. Seiner Dienste bedarf man dagegen in der Kohlenverfrachtung nicht. Denn der Umschlag von Steinkohlen und Koks vom Eisenbahnwagen ins Schiff wird seit einigen Jahren fast ausnahmslos von der fiskalischen Verwaltung der Duisburg-Ruhrorter Häfen bezw. von den am rhein gelegen Steinkohlenbergwerken in ihren Privathäfen besorgt und gewöhnlich Partikulierschiffern oder Rhedereien unmittelbar übertragen. Dagegen bedient man sich bei der Verschiffung anderer Güter, insbesondere solcher, welche über See verfrachtet werden und sowohl im Versand- wie im Ankunftshafen umzuladen sind, gern des Spediteurs. Er besitzt meist die erforderlichen Verladevorrichtungen und Lagerräume, er unterhält an den große Verkehrsplätzen Vertretungen, und er beherrscht die Vorschriften welche bei der Aus- und Einfuhr zu erfüllen sind. Er übernimmt es daher nicht nur, "die Gütersendungen durch Frachtführer oder durch Verfrachter von Seeschiffen in eigenem Namen zu besorgen" (§ 407 HGB) oder "die Beförderung des Gutes selbst auszuführen" (§ 412), sondern er bewirkt auch auf Anweisung die Versicherung des Gutes und führt vielfach den Umschlag der Waren vom Eisenbahnwagen aufs Schiff und umgekehrt aus. Seine Angebote enthalten Fracht, Umschlag und Versicherung in einem Betrag. Daher gestaltet sich für den Versender der Verkehr mit dem Spediteur recht einfach.

Auf dem Frachtenmarkt spielen die Schiffsbefrachter (Makler) eine große Rolle. Mit der Steigerung des Verkehrs, mit der Zunahme der Rheinflotte und der Konzentration des Verfrachtungsgeschäfts wird es immer wichtiger, sich bei der Schiffsannahme der Vermittler zu bedienen. Der Versender bezw. der Kohlenhändler und Spediteur findet im allgemeinen nicht die Zeit, täglich den Damm zu besuchen. Ihm fehlt auch vielfach die Kenntnis des für den Schiffstransport erforderlichen Schiffstyps und die persönliche Bekanntschaft mit den Tausenden von Partikulierschiffern. Zudem ist die richtige Behandlung der Schiffer und die Ausfindigmachung passender Schiffsgefäße häufig keine leichte Aufgabe.
Die Schiffsbefrachter erhalten regelmäßig am Vormittag nach Durchsicht des Briefwechsels von den Versendern bezw. Spediteuren den Auftrag, wie viele und wie große Schiffsgefäße sie zu chartern, d.h. anzunehmen oder zu mieten haben. Sie haben die Aufgabe, möglichst billig abzuschließen. Mit Schiffern, welche Leerraum anbieten, treffen sie täglich von 11-12 Uhr in der Vörse, vorher und noch bis zum Abend auf dem Damm vor der Börse und in den nahegelegenen Wirtschaften zusammen.
Als Entgelt für ihre Tätigkeit erhalten die Makler je nach ihrem Rechtsverhältnis von ihrem Auftraggeber eine allmonatlich fällige, feste Vergütung oder eine Provision, welche nach der Lademenge berechnet wird. Hierfür werden dem Schiffer an der Fracht 6 Pfennig für die Tonne gekürzt. Allein die den Maklern zufließende Summe beträgt nur einen Teil des als Provision abgezogenen Betrags.
Im Verkehr der Versender mit Rhedereien oder Spediteuren bevorzugt man den Briefwechsel und den Fernsprecher. Der Partikulierschiffer dagegen läßt sich brieflich und telephonisch schwer erreichen. Der Verfrachter verhandelt daher mit ihm von Angesicht zu Angesicht, sei es, daß man ihn auf dem Damm oder in der Börse trifft, sei es bei seinem Besuch auf dem Kontor. Sind die Zeiten schlecht, so ist es ein leichtes, einen willigen Schiffer mit einem passenden Fahrzeug zu finden; bei hochstehenden Frachten kostet es häufig nicht geringe Mühe, ein geeignetes Schiff ausfindig zu machen und mit dem Schiffer handelseinig zu werden.
Der Frachtvertrag, auch Chartepartie genannt, wird schriftlich abgeschlossen und in mehreren Stücken ausgestellt. Davon verbleibt eines dem Partikulierschiffer.
So schließt der Schiffsbefrachter oder - was seltener vorkommt - der Spediteur bezw. der Versender selbst mit dem Partikulierschiffer ab und überträgt ihm die Ausführung des Transportes."

Schröter/Reichert, Die Schifferbörse zu Duisburg-Ruhrort - zum 10-jährigen Bestehen der Schifferbörse, Duisburg 1911
©2020 ultramarin