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Binger Loch
Neben dem Rheinfall im Hochrhein bei Schaffhausen und der Isteiner Schwelle bei Kembs gehört das Binger Loch zu den größten Schiffahrtshindernissen im Rheinstrom. Während der Rheinfall allen Versuchen einer durchgehenden Rheinkanalisation bis zum Bodensee widerstanden hat und zum Naturdenkmal aufgestiegen ist und die Isteiner Schwelle durch eine eben solche Kanalisation des Oberrheinlaufs zwischen Vogesen und Schwarzwald seit den zwanziger Jahren des 20.Jahrhunders überstaut worden ist, bildet das Binger Loch noch stets ein ernstzunehmendes Hindernis für den Mittelrheinverkehr, das im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte wasserbautechnisch entschärft wurde.

Das Binger Loch wird von einer Quarzit-Schwelle bei km 530,7 gebildet, die sich vom Hunsrück am linken Ufer durch den Strom zum rechtsrheinischen Taunus hinüberzieht. Die Engstelle zwischen dem südlichen Rheingau und der nördlichen Gebirgsstrecke konnte viele Jahrhunderte hindurch nur bei höherem Wasserstand durchfahren werden, wobei sich der Strom sich bei Hochwasser in ein 'wildes Gefähr' verwandelte, weil er in der Schlucht unterhalb der Nahemündung mit ihren scharfen Windungen nicht auf nennenswerte Überflutungsflächen ausweichen konnte.

Die sogenannten Lochsteine - Felsspitzen und -kuppen, die noch immer bei niedrigem Wasserstand aus dem Strom ragen, bilden ein natürliches Wehr, vor dem sich am linken Ufer eine Kies- und Sandbank ablagert, die vom Hochwasser der Nahe regelmäßig aufgespült wird und mit jedem Rhein-Hochwasser ebenso regelmäßig abgetragen wird. Durch das Zusammenwirken fester und loser Gesteinsmassen entstand auf der rechten Seite eine 7 - 9 m Gasse für die Schiffahrt, durch die der Rhein mit großer Geschwindigkeit zu Tal floß.

Anstrengungen, diesen Abschnitt für den Verkehr zu sichern, gehen - wie könnte es anders sein - bis in die Zeit der Besetzung des Rheinlands durch die Römer zurück, als das Rheintal eine wichtige Nord-Süd-Verbindung zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer darstellt. Im 11.Jahrhundert arbeitete sich der Mainzer Bischof Siegfried, im 17.Jahrhundert das Frankfurter Handelshaus von Stockum an dem Problem ab, bevor die Unterzeichnung der internationalen Rheinkonvention zu Beginn des 19.Jahrhunderts die Perspektive auf eine umfassende Rheinregulierung eröffnete.

1830 bis 1832 nimmt die preußische staatliche Wasserbauverwaltung Sprengungen an der Schwelle vor und verbreitert das Fahrwasser auf 23 m bei einer Fahrwassertiefe von Binger Pegel + 0,20 m (einer Tiefe von 1,44 m bei einem gemittelten Niedrigwasserstand von 1,24 m entsprechend). Auf diese erste Maßnahme folgt in den 1860er Jahren eine zweite, als der Schiffahrt linksrheinisch um die Lochsteine herum ein zweites Fahrwasser geschaffen wird. Hierfür wird im Strom ein 1 km langer, steinerer Trennungsdamm aufgeschüttet, der an seinem oberen Ende mit der gegenüberliegenden Mäuseturminsel eine trichterförmige Einfahrt ins II. Fahrwasser bildet, das am linken Ufer durch ein auf 3,77 m Binger Pegel abgepflastertes Leitwerk begrenzt wird, welches über Buhnen mit dem Ufer verbunden ist. Mit Hilfe von Felssprengungen erreicht man in dem 94 m breiten Fahrwasser eine Tiefe von 1,50 m unter Gl.W.  

Aufbauend auf diese Verkehrsführung wird das Binger Loch 1893/94 erneut, auf 30 m, verbreitert und auf -0,82m Binger Pegel vertieft, so daß die Schiffahrt hier jetzt bei dem Gl.W. von 1,24 m Binger Pegel eine Fahrwassertiefe von 1,24 - 0,82 = 2,06 m vorfindet.

Mittlerweile verkehren auf dem Rhein vorwiegend Schleppzüge mit großen, breiten Seitenradschleppdampfern und ebenso großen eisernen Anhangkähnen mit einem Tiefgang bis zu 3 m. Ungeachtet aller Verbesserungen stellt das Binger Loch nicht nur eine Gefahrenstelle erster Ordnung dar. Der Strom erfordert hier insbesondere bei Hochwasser eine große Schleppkraft, während Niedrigwasser die Kähne zwingt, einen Teil der Ladung zu leichtern. Andererseits bildet das Naturwehr nicht nur ein Hindernis. Es reguliert im Gegenteil auch den Abfluß aus dem breiten und flachen Rheingau und sorgt für einen ausgeglichenen Wasserstand. Deshalb läßt sich das Binger Loch nicht beliebig öffnen, ohne die Schiffahrt oberhalb Bingens zu gefährden.

1908 erscheint der Entwurf einer großen Schleppzugschleuse, mit der man hofft, den natürlichen Stau  zu überwinden. Der Plan, der die beiden Fahrwasser unberührt läßt, verlegt Oberkanal, Schleuse und Unterkanal in das Vorland des linken Ufers hinter das Parallelwerk des II. Fahrwassers. Bei dessen Einfahrt am unteren Ende der Mäuseturminsel beginnt ein Oberkanal von 1.500 m, der zu einer Schleppzugschleuse von 400 m führt. Ein Unterkanal von 500 m Länge mündet etwa 800 m unterhalb des Trennungswerks in den Strom. Für den Ober- und Unterkanal wird eine Sohlenbreite von 75 m, für die Schleuse eine lichte Weite von 27 m vorgesehen. 

Der Entwurf wies nicht nur einen technischen Fehler auf; er ließ auch nautische Probleme erwarten. Die Schiffahrtstreibenden sahen vor allem Schwierigkeiten bei der Einfahrt in die Schleuse, die nach ihrer Meinung zu kurz war. Nach ihrer Vorstellung sollte sie 700 bis 800 m lang sein, so daß ein ganzer Schleppzug mit Boot und Anhang darin Platz findet, mit einem längeren Unterkanal von 1.000 bis 1.200 m. Die errechnete Schleusungsdauer von 36 Minuten hielten sie ebenfalls für unrealistisch. 

Darüberhinaus hatte der Planer übersehen, daß die obere Einfahrt den Nahegrund anschneiden würde, der sich nach jedem Nahehochwasser in den Rhein vorschiebt und bei jedem Rheinhochwasser wieder abgetrieben wird. Durch den Bau der Schleuse würden diese natürlichen Strömungsverhältnisse von Grund auf geändert: Fiele die spülende Wirkung des Rheinhochwassers fort, schöbe sich der Nahegrund immer weiter vor in den Rhein vor und verschüttete die obere Zufahrt der Schleuse.

Auf den Schleusenplan folgte 1914 eine Denkschrift 'Offener Kanal zur Verbesserung des Schiffahrtsweges im Binger Loch'. Ihr Autor sah unter Belassung des II. Fahrwassers eine Verbreiterung des Binger Loches auf 110 m bei einer Tiefe von 2,80 m vor, um eine Wassertiefe von 2,50 m bei GlW sicher zu erreichen. Das Sohlengefälle war auf 1 : 1340 vorgesehen. Der Verfasser war weitsichtig genug, um seinem Kanalplan gleich die (unrealistischen) Bedingungen hinzuzufügen, weshalb auch er zu den Akten gelegt wurde.

Nach dem Ersten Weltkrieg knüpfte man an, wo man 1914 aufgehört hatte. Eine Untersuchung der Sohle des II. Fahrwassers im Taucherschacht ergab, daß die Untiefe der Sohle am Einlauf nicht aus einer durchgehenden Felsbank bestand, wie man ursprünglich angenommen hatte und vor deren Tieferlegung man sich scheute, sondern aus einer Reihe von Felsspitzen, deren Beseitigung keine Änderung der Gefälleverhältnisse nach sich ziehen würde. Die Ergebnisse der Untersuchung gingen in einen weiteren Entwurf ein. Er sah neben der Beseitigung der hervortretenden Felsspitzen bis auf das Niveau einer 'Sollsohle' (1,28 m Binger Pegel minus 2,3 m Fahrwassertiefe, d.h. auf minus 1,02 m Binger Pegel) den Ausgleich der Übertiefen auf der Strecke von km 531,0 bis 531,4 durch das Einsetzen von 7 Grundschwellen in das II.Fahrwasser vor, deren Oberkante auf minus 1,32 m Binger Pegel projektiert wurden, sowie eine Einschränkung der Fahrwasserbreite von 94 m auf 60 m.

Die Arbeiten, die 1925 in Angriff genommen wurden, waren im September 1931 beendet, so daß das II. Fahrwasser Anfang 1932 dem Verkehr übergeben werden konnte. Die lange Dauer der Arbeiten erklärt sich daraus, daß man sie nur nachts ausgeführt wurden, um die Schiffahrt möglichst wenig zu stören. Die Trümmer der abgestoßenen Felsspitzen wurden an Ort und Stelle zu Grundschwellen verbaut. Die Schwellen, die von km 531,1 bis 531,4 im Abstand von 50 m angeordnet wurden, waren oberstromseitig 1 : 2, unterstromseitig 1 : 5 geböscht und hatten eine Krone von 3 m. Das Fahrwasser wurde durch Einbauten in die Verlängerung der Buhnen vom linksseitigen Längswerk aus eingeengt. 

Nach dem Ausbau war das II. Fahrwasser dem Binger Loch hinsichtlich der Wassertiefe gleichwertig. Verschieden waren die Strömungsverhältnisse: Das sehr starke Gefälle, das im Binger Loch bei Wasserständen unter M.W. auf einer kurzen Strecke herrscht, verteilte sich im II.Fahrwasser auf die ganze Strecke von 1 km. Für die Bergschiffahrt bedeutete das, daß im Binger Loch nur jeweils ein Fahrzeug den harten Strom von etwa 3 m/sek. Geschwindigkeit zu überwinden brauchte, während der Schlepper und die übrigen Anhänge sich entweder schon im ruhigen Stauwasser oberhalb der Felsen oder noch im stillen Unterwasser befanden, wohingegen im II. Fahrwasser der Bergzug in seiner ganzen Länge den Strom von 2,30 m/sek zu überwinden hat. So erklärt sich die etwas paradoxe Situation, daß die Bergfahrt (häufig allerdings unterstützt durch ein Vorspannboot) in der Regel das Binger Loch benutzte, während die Talfahrt und auch Einzelfahrer zu Berg das II. Fahrwasser bevorzugten. Die Maßnahme entlastete den Verkehr im Binger Loch beträchtlich, weil es besonders bei starkem Schiffsandrang zur Abkürzung der Fahrtdauer beitrug. (Vor dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit sehr starken Oberrheinverkehrs gab es Tage, wo 145 Bergkähne oder 45 Bergschleppzüge das Binger Loch durchfuhren. Da ein Schleppzug 15 bis 20 Minuten zur Durchfahrt braucht, war es durch die Bergfahrt pausenlos besetzt.) Als einen weiteren Vorteil des ausgebauten II. Fahrwassers empfand man, daß bei Sperrung des Binger Loches durch eine Havarie, die bei der schwierigen Navigation leider nicht zu den Seltenheiten gehört, die Schiffahrt, ohne vorher zu leichtern, das II. Fahrwasser (mit einer Tiefe von 2 m unter GlW) benutzen konnte.

Paul Gelinsky: Ausbau des Rheines vom Main bis zur Niederländischen Grenze, in: Der Rhein, 1951, S.154ff.

Erweiterungsarbeiten, insbesondere Sprengungen, die um 1970 herum durchgeführt wurden und 1974 abgeschlossen wurde, machten die Teilung der Strecke in zwei getrennte Fahrwassern für Berg- und Talfahrt überflüssig. Seither fährt alle Schiffahrt durch eine Fahrrinne, die in den 1990er Jahren noch einmal auf 120 m verbreitert wurde. Der Hang unterhalb der Nahemündung wurde durch Längskribben in Verlängerung der Mäuseinsel eingeengt.
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