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Der Schlepplohnmarkt auf dem Rhein

Neben dem Frachtenmarkt bildete der Schleppmarkt einen zweiten wichtigen Geschäftsbereich, der allerdings nur mittelbar bei der Schifferbörse angesiedelt ist. Das Schleppgeschäft ist einerseits untrennbar mit der Verfrachtung verbunden. Die Dampfmaschine hatte den Verkehr auf dem Rhein sowohl bergwärts als auch zu Tal in einem Maß beschleunigt, daß die Windkraft der Segelfahrzeuge und die Pferdekraft der Treidelkähne als unzeitgemäß erschien. Die Motorisierung beschränkte sich jedoch auf wenige Expreßschiffe und viele Dampfschlepper von unterschiedlicher Größe, so daß der eiserne Schleppkahn, was den Antrieb betrifft, für viele Jahrzehnte das Regelschiff der Rheinschiffahrt war.
Andererseits hatte der Eigner des Schleppkahns, der auf die Dienste des Schleppbootes angewiesen war, beim Abschluß eines Schleppvertrages auf andere Punkte zu achten, als bei einem Frachtvertrag.
Im Schleppgeschäft sind es die Schleppagenten, die zwischen den Befrachtern bzw. den Schiffseignern als und den Bootseignern vermitteln. Ihre Zahl ist entsprechend der Zahl der Schleppboote niedriger als die der Frachtagenten. Andererseits beschränkt sich ihre Vermittlung nicht auf die Duisburg-Ruhrorter Häfen. Sie erstreckt sich über das gesamte Gebiet, in dem Schleppboote angefordert werden. Wie die Fahrzeuge, die sie vermitteln, sind auch die Agenten mobil. Sie nehmen die Aufträge telefonisch oder per Fernschreiber an und geben sie auf die gleiche Weise an die Orderstationen weiter, an denen die Schleppboot-Kapitäne ihre Anweisungen entgegennehmen.
Der Verfrachter, der einen Schlepper für den von ihm befrachteten Kahn braucht, nimmt Verbindung mit dem Agenten auf, um ihm den Namen des Fahrzeugs, den Liegeplatz, die Menge der Ladung und den Bestimmungsort zu nennen.
Der Schleppagent verständigt sich daraufhin mit anderen Agenten darüber, welche Schlepper wo und für welche Strecke zur Verfügung stehen. Auf diese Weisen sammeln die Agenten laufend die Informationen, anhand derer die Disponenten die Schleppzüge zusammenstellen. Für ihre Arbeit, die mit dem Abschluß eines Vertrags beendet ist, erhält der Agent eine Provision von 3-4 % des Schlepplohns.
Zwar können die Befrachter und Kahneigner sich auch direkt an die Bootseigner wenden. Die Disposition, die erforderlich ist, um die Boote über ihre gesamten Strecke auszulasten, läßt es in Zeiten, wo der Verkehr lebhaft ist und eine große Nachfrage an Booten besteht, ratsam erscheinen, sich der Agenten zu bedienen, die einen größeren Überblick über den Umlauf und die Verfügbarkeit der Boote haben.
Obwohl es für die Schleppagenten eigentlich keine Notwendigkeit gibt, ihr Geschäft von Ruhrort aus abzuwickeln, nimmt Ruhrort doch insofern eine besondere Stellung ein, als die Ruhrorter Reede eine Relaisstation für den gesamten Durchgangsverkehr darstellt, weil die Schleppzüge hier, wie auf einem zentralen Rangierbahnhof aufgelöst und für die Berg-, Tal- oder Kanalfahrt neu zusammengestellt werden. Ähnliche Schleppstationen sind Köln, St.Goar, Mainz, Mannheim und Dordrecht, sei es, weil sie wichtige Bestimmungshäfen sind, an denen ohnehin viele Reisen enden; sei es, weil die Fahrt (im Kanal, auf den Nebenflüssen) mit einem kleineren Boot in einem kleineren Verband fortgesetzt werden muß).
Im Befrachtungsgeschäft des Massengutverkehrs bilden Teilladungen eher die Ausnahme. Für das Schleppgeschäft gilt das Gegenteil: Wenn es sich nicht gerade um ein kleines Boot handelt, das nur ein Schiff schleppt, nimmt der Auftraggeber immer nur einen Teil der Gesamtleistung in Anspruch. Die Mitnahme eines 700 t-Kahn, der mit einem 1500-t-Kahn im Anhang eines 2000-PS-Schleppers fährt, kostet entsprechend weniger als die des größeren Fahrzeugs. Im Verhältnis ist sie allerdings für den kleineren Kahn teurer, weil sowohl der Aufwand, ihn aufzupacken als auch sein totes Gewicht und der Wasserwiderstand stärker zu Buche schlagen.
Darüberhinaus wird im Schleppgeschäft anders als im Frachtgeschäft nicht nur in Tonnen (1000kg), Karren (1700kg) oder Last (2000kg), sondern auch in Bruchteilen von Pfennigen gerechnet, und während der Entfernungsunterschied zwischen Worms und Mannheim bei der Fracht nicht ins Gewicht fällt, tut er es im Schleppgeschäft durchaus.

"Die Frachtschiffahrt hat etwas Schwerfälliges. Laden und Löschen der Lastkähne dauert ... je nach der Lademenge bis zu 3 Wochen. Berücksichtigt man ferner, daß die Fahrt von den Rhein-Ruhr-Häfen nach Mannheim, von Rotterdam nach den Rhein-Ruhr-Häfen bezw. von Rotterdam nach Mannheim durchschnittlich etwa 4 bezw. 7 Tage dauert, so ist es begreiflich, daß die Lastkähne jährlich im Durschnitt nur etwa 10 Transporte ausführen.
Demgegenüber ist die Schleppschiffahrt viel beweglicher. Hier kennt man keine großen Aufenthalte wegen Ladens und Löschens. Es braucht ja bloß Kohlen zum Betrieb der Schiffsmaschinen aufgenommen zu werden, ein Vorgang, der nur einige Stunden beansprucht. Im übrigen können die Dampfer fortwährend auf der Reise sein. Sie schleppen schwerbelastete Züge zu Berg und eilen mit leeren Schiffen im Anhang wieder zu Tal. Daher ist es bei guter Geschäftslage ein leichtes, in einem Jahre 50 Berg- und Talreisen auszuführen.
Wegen des beschleunigten Umlaufs und der Möglichkeit, daß ein Schleppboot mehrere Kähne zugleich befördert, bedarf es im Vergleich zu der großen Flotte der Lastschiffe nur einer kleinen Anzahl von Schleppdampfern. Nach dem statistischen Auszug des Rheinschiffsregisters 1910 der Versicherungsgesellschaft Providentia in Frankfurt a.M. verkehren auf dem Rhein 10344 Schleppkähne und 1041 Dampfschleppboote.
Der beschleunigte Umlauf des Schleppmaterials ist es aber auch, welcher bei der Schleppschiffahrt in viel höherem Grade einen nach kaufmännischen Gesichtspunkten geordneten Betrieb verlangt als die Frachtschiffahrt. An das Organisations- und Dispositionsvermögen des Leiters werden höhere Anforderungen gestellt. Der Schleppschiffahrtsbetrieb eignet sich daher besonders für Großunternehmungen. So erklärt es sich, daß Großrhedereien in der Schleppschiffahrt eine viel wichtiger Rolle spielen als in der Frachtschiffahrt. Von insgesamt 1041 Rheinschleppbooten mit 256.602 Pferdekräften waren nämlich 242 Stück mit 133.175 Pferdekräften in Besitz von Rhedern, und 799 mit 123.427 Pferdekräften gehörten sog. Partikulierschleppern.
Den Schlepprhedern gegenüber befinden sich die Partikulierschlepper in ungünstigerer Lage als die Partikulierschiffer gegenüber den Frachtrhedern. ... In der Frachtschffahrt waren von den ... 10344 Schiffen 9296 [3.509.698 t] im Besitz von Partikulierschiffern und nur 1048 [1.081.190t] gehörten Rhedereien an. Dazu kommt, daß in der Schleppschiffahrt die Versäumnis eines oder mehrerer Tage viel schwerer ins Gewicht fällt als in der Frachtschiffahrt. denn dort sind außer der Verzinsung des Anlagekapitals höhere Mannschaftslöhne und höhere Betriebskosten in Rechnung zu stellen. Der Partikulierschlepper tut also gut, seine Transporte nicht selbst zu suchen und die Gefahr, lange unnütz auf Strom zu liegen, nicht auf sich zu nehmen, sondern Abmachungen zu treffen, die es ihm ermöglichen, nach Ausführung eines Transports mit neuem Schleppgut sofort eine weitere Reise anzutreten. Zu dem Zwecke treffen viele Partikulierschlepper mit Firmen, welche an den großen Versandplätzen ansässig sind, die Vereinbarung, ihnen zu einem stets gleichbleibenden Satz oder zu dem Tagesschlepplohn Schleppgut zu überweisen.
So kommt es, daß auf dem Schleppmarkt nur wenige Schleppunternehmer den Schleppkraft suchenden Verfrachtern bezw. Frachtschiffern gegenüberstehen."

Schröter/Reichert, Die Schifferbörse zu Duisburg-Ruhrort - zum 10-jährigen Bestehen der Schifferbörse, Duisburg 1911
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