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Die Gezeitenvorausberechnung läßt sich viele Jahrhunderte zurückverfolgen
und wurde stufenweise mit dem Fortschritt der Kenntnisse von den Gezeiten
verbessert. Zuerst waren es einfache Tabellen mit Angaben über die Eintrittszeiten
der Tageshochwasser, später sog. Gezeitentafeln mit Zeiten und Höhen
der Hoch- und in neuerer Zeit auch der Niedrigwasser für jeweils einen
Haupt- oder Bezugsort sowie Differenzwerte für deren anzuhängende Anschlußorte.
Die Form der ab 1684 von Flamsteed in England herausgegebenen tide tables
blieb im wesentlichen 150 Jahre maßgebend, bis Sir John Lubbock Tafeln
nach dem 'nonharmonischen Verfahren' entwickelte. Hiernach werden die
Ungleichheiten der Gezeiten infolge der Einflìsse von Mondphase sowie
Deklination und Parallaxe von Mond und Sonne erfaßt und additiv zur
Bestimmung der Eintrittszeiten von Hoch- und Niedrigwasser verwendet.
Diese Methode ist auf solche Gebiete beschränkt, in denen Halbtagsgezeiten
mit zwei Hoch- und zwei Niedrigwassern innerhalb eines mittleren Mondtags
von 24h 50min auftreten. Für die Nordsee als ausgesprochenem Schelfmeer
liefert das nonharmonische Verfahren recht gute Ergebnisse. In ganz
anderer Weise ging Lord Kelvin 1868 an das Problem heran. Er zerlegte
die den Ablauf der Gezeit widerspiegelnden Gezeitenkurven entsprechend
den astronomischen Ursachen in eine Serie von harmonischen Schwingungen,
deren Periode aus der Theorie der Bewegungsabläufe von Erde, Mond und
Sonne zueinander hergeleitet waren. Die Amplituden und Phasen der einzelnen
harmonischen Schwingungen oder Partialtiden entnahm er Beobachtungen
der Gezeit über mehrere Jahre, aus denen Mittelwerte beider Gräßen resultieren,
die man dann dem jeweiligen Vorhersagejahr durch Modifikation der astronomischen
Parameter anpassen kann. Dieses harmonische Verfahren füllt gerade die
von dem nonharmonischen Verfahren belassenen Lücken, versagt aber in
ausgesprochenen Seichtwassergebieten trotz der als Obertiden eingeführten
zusätzlichen Partialtiden und deren nochmalige Erweiterung durch Kombinationen
der letzteren als Verbundtiden. Während man nach Lubbock nur die Daten
der Hoch- und Niedrigwasser erhält, gestattet die Kelvinsche Methode
die Bestimmung beliebiger Punkte der Gezeiten. ... In den von einer
Reihe von Hydrographischen Ämtern der Welt herausgegebenen Gezeitentafeln
sind ausführliche Vorhersagen für einige hundert Bezugsorte und etliche
tausend Anschlußorte an allen Küsten der Erde zu finden.
transpress lexikon Seefahrt
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